Dieses Jahr feiert meine kleine Bäckerei 125-jähriges Firmenjubiläum. Und vor 5 Jahren fand meine Brot-Sommelier – Ausbildung statt. Damals hatte ich aber eine ganz andere Vorstellung über meine und der Zukunft der Bäckerei…
Da ich mit meiner Mutter alleine die Bäckerei führte, sie im Verkauf und ich in der Backstube, ging ich davon aus das es so nicht weiter gehen kann. Wenn meine Mutter eines Tages ausscheidet oder der Backofen seinen Geist aufgibt, dann wars das mit der Bäckerei Schwehr. Also schrieb ich mich für die Brot-Sommelier – Ausbildung in der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim ein. Mit dem Ziel mit dieser zusätzlichen Referenz später eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Leider verstarb 3 Wochen vor Start der Ausbildung plötzlich und überraschend meine Mutter. Ich mußte mir also überlegen wie das jetzt weiter gehen sollte.

Ich änderte notgedrungen die Öffnungszeiten auf Vormittags und habe dann auch selbst im Laden verkauft. Dies machte ich auch schon so ein paar Monate zuvor, als meine Mutter in REHA war. Nach reiflicher Überlegung ging ich dann in unserem 120 Betriebsjahr doch die Ausbildung an. Jetzt oder nie, dachte ich mir. In der Zeit als ich in Weinheim sein mußte habe ich das Geschäft geschlossen. Habe dann einfach ein Zettel mit der Aufschrift „Ihr Bäcker ist auf Weiterbildung. Ab Fr. bin ich wieder für Sie da!“ an die Tür geklebt. Das ich eine Brot-Sommelier-Ausbildung machte erzählte ich keinen. Ich wußte das es nicht einfach werden würde und habe auch mitbekommen das es eine Durchfallquote von 2-3 Teilnehmern pro Kurs gibt. Gleichzeitig war es für mich eine willkommene Ablenkung und ich habe tolle Mitstreiter kennengelernt.

Sie kamen aus ganz Deutschland und einer sogar aus Österreich und hatten natürlich alle einen viel größeren Betrieb wie ich. Zu meiner Freude hatten meine Kunden Verständnis für meine Schließungen und blieben mir alle treu. Wahrscheinlich auch weil sie ahnten das ich bald den Betrieb an den Nagel hängen würde. Durch meine Projektarbeit „Das Brot Christi“ wurden dann im Sommer auch die Medien auf mich aufmerksam. Sonntags-Zeitung, Radio Regenbogen und etliche Fachzeitschriften berichteten darüber. Dadurch kamen noch viele Neu-Kunden dazu. Auch unser Stadtpfarrer war begeistert und hielt extra einen Erntedank-Gottesdienst, an dem es um dieses Brot des letzten Abendmahls ging, mit mir zusammen ab.

Das Brot gab es dann auch zur Eucharistie und im Anschluß daran in lockerer Runde zu probieren. Auch die Presse war wieder mit an Bord. Doch im Hinterkopf hatte ich die Prüfungen die 2 Tage später losgingen… Mit meiner Projektarbeit wurde ich schon nur knapp vor Abgabe fertig und auch für die Prüfungsvorbereitungen ging mir die Zeit aus.
Schließlich lief alles gut und ich hatte bestanden. Bei einem unvergesslichen Tag mit Starkoch Johann Lafer bekamen wir die Urkunde und die begehrte Sommelier-Jacke verliehen.

In der Bäckerei machte es danach immer mehr Spaß. Der direkte Kontakt mit den Kunden und mein verbessertes Fachwissen ließen das Geschäft aufblühen. Außerdem hatte ich eine Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen in den darauf folgenden Monaten am Start. Auch kam der ein oder andere TV-Bericht dazu. Und dann kam Corona…
Wir Bäcker hatten da ja, je nach Art des Betriebes, das Glück Systemrelevant zu sein. Und zu meinem Erstaunen waren auch die Kunden äußerst loyal. Als ich das erste Mal auf einem Foto die lange Schlange vor meinem Geschäft sah kamen mir wirklich die Tränen.

Kurz vor meinem 50er, als ich im Urlaub im Strandkorb saß, macht ich mir dann Gedanken wie es jetzt mit der Bäckerei eigentlich weiter gehen sollte. Zwischenzeitlich war der Backofen durch einen neuen Brenner für die weiteren Jahre „gerettet“ worden aber es war natürlich in den letzen Jahren ein immenser Investitionsstau entstanden. Da fiel mir die kleine Ladenbaufirma ein die mich jährlich anrief und nachfragte wie es den Aussieht mit einem Ladenumbau. Bislang hatte ich immer abgelehnt aber durch die Erfahrungen in den vergangen 2 Jahre hatte ich eine neue Sichtweise. Als sich dann herausstellte, das ich mir den Umbau ohne Finanzierung leisten kann war mir klar: mit der Bäckerei geht es weiter!

Zwischenzeitlich konnte ich auch die Arbeitsräume renovieren und letztes Jahr wurde dann das Haus noch neu gestrichen. So erstrahlt die Bäckerei in ihrem 125. Jubiläumsjahr im neuen Glanze und ist endlich so wie ich es mir immer schon gewünscht hatte. Natürlich gibt es immer wieder neue Herausforderungen wie wir es ja tagtäglich erleben. Aber durch meine „Kleinheit“ habe ich auch ein paar Vorteile und möchte so lange wie es mir möglich ist weiter machen.
Mein Wunsch: bis zum 140-Jährigen! Dann bin ich 67 und der Ruhestand wartet auf mich. Mal schauen…
Ich bin der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks mit ihrem Direktor Bernd Kütscher (der mich immer unterstütz hat) und seinem Team sehr, sehr Dankbar!
Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen und hoffe das noch viele andere Bäckerkollegen Ihren Weg finden…
Bis bald,
Euer Brotliebhaber